Beim Handstand in den Dünen von Corralejo, Fuerteventura

Semesterferien. Wir entfliehen dem Winter und suchen die Sonne auf Fuerteventura. Das ist zwar schlecht fürs Klima, aber schön für uns. Meine Liebeserklärung an die Insel und den Urlaub im Allgemeinen.

Pool mit Absperrband umwickelt
Der Pool, aus hygienischen Gründen abgesperrt

Nach einem langen Reisetag checken wir am späten Nachmittag im Hotel ein. Die Mädels nehmen uns an der Hand, sie haben weiter hinten den Pool erspäht. Müde stolpern wir ihnen über die gaggbraun verfliesten Wege hinterher und halten wenig später verwundert vor dem abgesperrten Pool. Das Hotelpersonal hat das komplette Becken mit Absperrband eingezäunt.

„Da hat wer in den Pool gekackt!“, ruft uns ein ostdeutscher Urlauber von seiner Liege aus zu. Missmut ist ihm ins Gesicht gezeichnet. Er ist verärgert, völlig umsonst ist er im Morgengrauen aufgestanden um sein Handtuch rauszulegen. Alle anderen Liegen rundherum sind nämlich frei, nur wenige liegen gerne an einem vollgeschissenen Pool.

Cluburlaub ist Exzess. Schmerbäuchige Staubsaugervertreter aus Liverpool und Chemnitzer Frisösen mit rot-blonden Kurzhaarfrisuren saufen all inclusive Wein und Schnaps direkt aus der Leitung. Dreimal täglich schlagen sie sich am Buffet ihre Wänste voll und das so lange bis ihnen der Stuhl durchbricht und im Becken landet.

Wir wollen nicht auffallen, versuchen mitzuhalten. Die braven Töchter kennen Cola nur aus der Werbung, hier trinken sie es aus Eimern. Zum Frühstück gibt es Eis. Vanille, Erdbeer, Schoko, Tiramisu und oben drauf literweise Sirup und Streusel. Die Frau und ich trinken Wein und Bier so viel wir schaffen, das Klo finden wir trotzdem immer. Wir sind eben anders, passen nicht zum Rest der Urlauber hier. Deshalb mieten wir uns einen alten Renault Clio und verduften. Wir wissen auch schon wohin, sind zum vierten Mal hier auf der Insel. Wir kennen uns also, die Insel uns und wir die Insel. Sie ist ein bisschen wie ein alter Matrose. Rau, karg, wild und mit großem Herz.

Chinesische Hunde aus Corralejo

Chinesische Hunde aus Corralejo, Fuerteventura
Chinesische Hunde aus Corralejo, Fuerteventura. Der ganz links ist Idefix

In Corralejo, der Touri-Hauptstadt im Norden, reihen sich chinesische Ramschläden an hippe Surferstores. Bierbäuchige Touris vermengen sich mit lässigen Surferdudes, deren lange Haare vom Salzwasser verfilzt sind. In einem China-Laden kaufen wir den Töchtern gleich vier Spielzeughunde samt Leine, weil wir „die armen Tiere aus den Händen der grausamen China-Mafia befreien müssen“, so die große, weltgewandte Tochter L. „Ja, die essen den armen Idefix und die anderen doch!“, fügt die kleine Tochter L. hinzu.

Die erstandenen Hunde können selbst gehen. Sie schaffen einen Meter pro Minute und halten aus unerfindlichen Gründen alle 10 Sekunden an, um fünfmal schrill zu bellen. Die Töchter geben der Frau und mir jeweils eine Leine in die Hand und gemeinsam mit den Tieren machen wir uns auf den Weg Richtung Altstadt. Hier herrscht eine entspannte Atmosphäre. Auf den Plätzen in der Nähe des Hafens spielen fast täglich Live-Bands. Vom Musikantenstadl oder Andreas Gabalier haben die hier aber noch nie was gehört. Die Qualität ist hoch, die Jungs und Mädels auf den Bühnen sind jung und können wirklich was. Gespielt wird Rock, Pop und volkstümlicher spanischer Sound.

Mit den Aussteigern am Strand

Der Wind ist an der Westküste ein ständiger Begleiter, die Wellen sind hoch, die Kraft des Meeres ist spürbar. Beide Töchterchen laufen lachend und kreischend vor der niederbrechenden Wellengischt davon. Menschen sieht man hier kaum und wenn, dann sind es Wellenreiter oder Kite-Surfer.

Zehennägel bändigen und Vehikel warten. Sonst haben die Aussteiger hier nicht viel zu tun.

Über den Klippen von La Pared. Bazu mit der Frau und Simones Van
Simones Van „Balu“ thront über den Klippen von La Pared

So auch an der Küste von La Pared. Hier treffen wir zufällig(!) Simone, eine Freundin, die seit vielen Monaten mit ihrem Caravan quer durch Europa tingelt. Gemeinsam stehen wir neben ihrem Van auf der Klippe über dem Surferstrand. Ein paar Meter weiter parken noch sechs oder sieben der großen Vehikel. „Die Leute, die hier in ihren Fahrzeugen übernachten, kennen sich großteils und sind meist schon länger unterwegs“, erzählt Simone während sie uns Kaffee auf einem Gaskocher zubereitet. „Am stressigsten bei uns ist es immer wenn wir Wasservorräte für die Vans wieder auffüllen und Klos entleeren müssen, ansonsten ist es sehr gechillt“.

Im Campingstuhl neben ihr sitzt, nur mit Badehose bekleidet, ihr holländischer Freund. „Für Bazu ist es immer stressig, wenn er sich selbst auf Vordermann bringen muss“, grinst sie und deutet auf den braun gebrannten Holländer. Seine Haut ist sonnengegerbt. Wie altes Leder. Sein Alter schwer einzuschätzen. Irgendwas zwischen 30 und 50. Seine Zehennägel sind so wild, wie die Küste auf die wir hinab blicken. Mit einem Nagelknipser kämpft er gegen den Wildwuchs. Freundlich und wissend sieht er uns an. Ihm ist klar, dass die Welt aus der wir kommen, eine fremde ist. Eine Cluburlaub-Welt, eine Welt mit Homeschooling, geregelten Arbeitszeiten, Bausparverträgen und Hamsterrädern. Er hat diese Welt vor zwei Jahren verlassen, sein Haus verkauft und ist seitdem mit seinem Camper unterwegs, erzählt er uns.

Zehennägel bändigen und Vehikel warten. Sonst haben die Aussteiger hier nicht viel zu tun. Untertags schmeißen sie sich mit ihren Surfbrettern in die Wellen, abends trinken sie Rotwein und genießen die karge, wilde Schönheit der Insel. „Es ist schon super hier“, sagt Simone, „aber irgendwann möchte ich auch mal wieder was Grünes sehen“. Sobald es die Temperaturen zulassen, will sie wieder zurück nach Portugal.

Philosophische Urlaubsbetrachtungen

Das Leben dieser modernen Nomaden ist völlig konträr zu den Lebensentwürfen, auf die wir in unserem All-Inclusive-Clubhotel treffen. Die Camper kacken nicht in den Pool, nein, die haben Chemieklos oder die wilde Natur. Exzess, hemmungsloses Fressen und Saufen im Übermaß ist selten, die Caravanleute besinnen sich auf das Wesentliche. Den Unrat, den man in der westlichen Konsumgesellschaft anhäuft, die Berge von unnützem Zeug, die den Menschen die Häuser und das Hirn verstopfen, die gibt es in ihrer Welt nicht.

Das Meer und die Kaffeetasse
Das Meer und die Kaffeetasse

Simone besitzt zwei Gläser. Eins für Wein und eins für Wasser, eine Kaffeetasse und einen Satz Besteck. Die Klamotten, die sie am Leib trägt, stellen einen guten Teil ihres Kleiderbesitzes dar. Ein kleiner Schrank und ein paar Schubladen, mehr Platz gibt es nicht. Da landen der Thermomix und die 15 Paar Schuhe eben in der Tonne. Es ist die totale Reduktion, alles Unnötige wird rausgeschmissen. Und man glaubt es kaum, wenn man nicht ständig über seinen ganzen Kleinkram stolpert, kann das ungeheuer befreiend für die Gedanken sein. Genau das ist der Geist, die Energie, der Wind, der über diese karge Insel weht.

Weniger ist mehr. Sei zufrieden mit dem, was du hast, und die Ruhe kommt von selbst. Und wenn du das Gefühl hast, du musst dich mal erleichtern, kannst du das hier im Pool tun, in der freien Natur oder auf der Toilette. Ganz nach deinen Vorlieben, keinen kümmert es, weil zum Schluss schließt sich der Kreis und was hinten rauskommt, wird irgendwann zu Staub, Erde und Nahrung und kommt dann vorne wieder rein. Das Leben dreht sich weiter. Und auch wir kommen wieder zurück. Auf unsere Insel. Fuerteventura.

Unsere Empfehlungen

Corralejo
Chinesischer Shop "Hong (K)ong" in Corralejo, Fuerteventura
Chinesischer Shop „Hong (K)ong“ in Corralejo, Fuerteventura

Die Touri-Hochburg im Norden. Trotzdem sehr entspannt. Die Innenstadt ist jung und lebendig. Ein paar heruntergekommene, chinesische Shops und Leerstände wechseln sich mit hippen und gechillten Lokalen und Restaurants ab. Viele Surfer relaxen hier am Abend bei Cocktail und Live-Musik.

Las Dunas de Corralejo

Weißer Sand soweit das Auge reicht. Ein schwarzes Asphaltband führt mitten hindurch. Auf der Westseite der Straße wachsen am Horizont Vulkankrater aus dem Sand. Am Abend schüttet die Sonne einen Eimer mit goldgelber Farbe darüber. Ostseitig liegt das Meer, hier taucht die Sonne morgens aus dem Wasser auf. Der Strand ist endlos. Irgendwo findet man immer ein einsames Plätzchen. „Steinburgen“ schützen vor Wind. Die Dünen von Corralejo liegen fünf Kilometer südlich der Stadt und erstrecken sich über ein Länge von fast 10 Kilometern. Seit 1982 stehen sie unter Naturschutz.

Das schwarze Asphaltband, das sich durch die Dünen zieht
Das schwarze Asphaltband, das sich durch die Dünen zieht
El Cotillo

Im Nordwesten gelegen. War vor nicht allzu langer Zeit ein Fischerdorf. Ist jetzt von Surfern bevölkert. Im Süden des Ortes finden sich einige der besten und wildesten Surfstrände. Man kann auch gut mit dem Rad oder mit Lauf- oder Wanderschuhen die Klippen entlang fahren, laufen, gehen und dabei tolle einsame Buchten entdecken.

Las Playitas

Das Mekka für Triathleten. Die Bucht ist von kleineren Bergen umgeben und etwas windgeschützter als der Rest der Insel. Der Sand ist schwarz, die Sonne heizt ihn auf. So wird es auch in den kalten Monaten oft so warm, dass man ins Wasser kann. In der einen Hälfte der Bucht liegt ein Sportlerhotel mit allen Einrichtungen, die sich ein Triathlet so wünschen kann. Die andere Hälfte der Bucht nimmt ein ruhiges, kleines Dorf ein, in dem die Uhren langsamer ticken und man hervorragenden Fisch bekommt.

Cofete

Einsam, wild, schwer erreichbar. Mystische Nazi-Geschichten ranken sich um das einzige Haus an diesem Strand, die „Villa Winter“. Die Band Bilderbuch hat dort ihr Video zu ihrem Song „Baba“ gedreht. Falls die Erde eine Scheibe ist, ist hier ihr Ende.

Einer der Strände bei La Pared. Auf den Klippen sieht man die Wohnwägen
Einer der Strände bei La Pared. Auf den Klippen sieht man die Wohnwägen
Ajuy

Kleines Dorf mit nettem Strand und gutem Essen an der Westküste. Viele nutzen diesen Ort als Ausgangspunkt für kurze Wanderungen

La Pared

Ein Hotel, zwei Cafes, ein Restaurant. Einige Wohnwägen auf der Steilküste und Surfer in den Buchten. Fertig. Mehr gibt es dort nicht. Wer die Schönheit in der Einsamkeit findet, ist hier richtig.

Cofete - hier haben Bilderbuch dieses Video gedreht

Links zum Thema

Laufstrecken für Fuerteventura


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