Wusstet ihr, dass man mit einem Rennrad nur sehr schwer einen steinigen Bergpfad hinaufkommt? Ich habe es einmal probiert und dabei ist mir beim ersten Antritt über Wurzeln und Gestein zuerst der Reifen geplatzt und dann die Kette gerissen. Beides innerhalb von Sekundenbruchteilen.
Es war beinahe so als würde mir das Rad zuraunen „Mit mir sicher nicht, Alter!“ um sich kurz darauf, bei der ersten Berührung alpinen Untergrunds, selbst zu zerstören. Mehr Stinkefinger ins Gesicht geht eigentlich nicht.
Seitdem laufe ich lieber. Fahrräder sind zickig, ich kann sie nicht leiden. Zeit meines Lebens war ich noch nie im Besitz eines Rades, das mir nicht innerhalb von Sekunden entweder unter dem Hintern zusammenbrach oder noch während ich drauf saß, geklaut wurde. Auf meine eigenen Beine ist mehr Verlass. Die haben mich noch jeden Berg hoch getragen und wurden noch nie gestohlen.
Die Verwandlung
Ein lieber Freund von mir sieht das anders. Er liebt Fahrräder und fährt mit seinem pechschwarzen Rennrad tagein, tagaus alle asphaltierten und zubetonierten Straßen im Land auf und ab. Er fährt vom Klagenfurter Becken bis an die Adria und von dort durch den Karst bis zur steirischen Weinstraße. Dort schläft er dann, angekettet an sein Rad, in seiner engen Radlerhose auf dem Radständer und ernährt sich ausschließlich von Schmierfett und Kettenöl-Suppe. Er wird quasi eins mit seinem Vehikel. Ich beobachte diese Veränderung nun schon einige Jahre immer im Frühling. Es ist ein seltsamer Prozess. Seine Sprache wird runder, Satzzeichen schluckt er hinunter, zwischen seinen Stimmbändern schwingt ständig ein leichtes, glutturales Surren mit.
Ohne Rad macht er den Eindruck eines großen, hässlichen Fisches, der an den Strand gespült wurde
Wenn seinem Kehlkopf quietschende, knarzende Geräusche entfleuchen, schmiert er sich schnell einen Eimer Kettenfett auf die käsige Radfahrerbrust. Seine Arme, Beine und Gesicht werden dunkler und schmäler, sie passen sich optisch dem Rad an. Sein Schritt wird ungelenk. Sobald er vom Rad absteigt, ist er fast unfähig sich fortzubewegen. Er stakst dann unkontrolliert mit seinen Radschuhen über den Asphalt und macht den Eindruck eines großen, hässlichen Fisches, der an den Strand gespült wurde und verzweifelt versucht wieder ins Wasser zu kommen.
Orientierungslos stolpert er zum nächsten Straßencafé, lässt sich hüftsteif in den Stuhl fallen und bestellt drei große Soda-Radler und einen Espresso. Wenn zufällig ein Triathlet vorbeifährt, wird er wütend, zerreißt sein mit Sponsorenlogos übersätes Trikot und brüllt ihm italienische Schimpfwörter hinterher. Radfahrer verabscheuen Triathleten, vor allem wegen ihrer kurzen Socken, erklärt er dann, während er zärtlich seinen Sattel streichelt. Ein richtiger Rennradfahrer trägt seine Socken bis Mitte Wade. Alles andere sähe lächerlich aus und wäre eines Radfahrers nicht würdig.
Die Radfahrer auf dem Holzweg
Rennradfahrer sind in gewisser Weise aus der Zeit gefallen. Sie leben diametral zum eigentlichen Trend. Sie brauchen Beton und Asphalt, wie ein Flugzeug Kerosin. Ohne hartem, totem Grund haben Rennräder keinen Sinn. Je mehr Natur zubetoniert wird, desto mehr Lebensraum haben Rennradfahrer. Stirbt die Natur, lebt das Rennrad auf.
Um meinen Freund also vom Irrweg Radsport zu befreien und diese Last, die er jetzt schon seit Jahren mit sich herumschleppt von seinen Schultern zu nehmen, bin ich ihm einen Schritt entgegen gekommen. Ich habe versprochen ihn im Juli mit meinem Drahtesel auf den Großglockner zu begleiten. Als Gegenleistung hat er sich dazu verpflichtet tags darauf mit mir den Großglocknerlauf zu absolvieren. Wenn er dann die Freiheit des Läufers in sich spürt, wird er sein Rennrad in Heiligenblut an die Dorfkirche lehnen, sich kurz bekreuzigen und erleichtert das Weite suchen. Frisch missioniert, wird er fortan den wahren, ehrlichen Weg des Läufers beschreiten und das Joch des Radfahrers für immer ablegen.