Letztens wurde der Bruder 30, und wenn man dieses Greisenalter erreicht, dann wachsen einem plötzlich Haare aus den Ohren und man wünscht sich die eigenartigsten Sachen. „Amsterdam is schon lässig. Es gibt dort Drogen, (Wind-)Räder, Holzpantoffel und einen der schnellsten Marathons in Europa …

… wer mich an meinem 30er leiden sehen will, kommt am besten mit! 🏃💪“, schreibt der betagte Bruder in unseren Familienchat. Und da alte Leute oft nicht nur merkwürdig, sondern auch zuvorkommend sind, gibt er uns genaue Instruktionen, wie wir seinen gebrechlichen Körper über 42 Kilometer ins Ziel peitschen sollten. „Gehmaaa Luki! Ist nimma weit! A bissale noch!“ oder auch ein klassisches „Hophophop“, will er ins „Gnack“ gebrüllt haben und danach sollen wir ein Bier mit ihm trinken, so sein Wunsch.

Der Opa freut sich am meisten auf den Trip, und das obwohl der die Oma mitnehmen muss

Natürlich kann ich ihm diesen Wunsch nicht abschlagen. Um ihm während des Laufs permanent ins Gnack brüllen zu können, melde ich mich gleich mit beim Marathon an. Als moralische Unterstützung pack ich natürlich auch die Frau ein.

Am meisten auf die Reise freut sich der Opa. So sehr, dass er sogar den ganzen Trip finanziert, und das obwohl er die Oma mitnehmen muss. Als ich ihm von den schönen Schaufenstern im Rotlichtviertel erzähle, werden seine Augen ganz groß. Plötzlich donnert ihm ein Hexenschuss ins Kreuz. Macht aber nix, weil „die haben ja ganz famose Heilkräuter in Holland“, meint er. Und auch andere Verwandte und Freunde wollen Schaufenster und Heilkräuter sehen und dem Bruder ins Gnack brüllen, schlussendlich sind wir 11 Leute, die aus allen Himmelsrichtungen nach Amsterdam anreisen.

Drogen, Sex und alles was das Herz begehrt

Wir residieren in der besten Gegend Amsterdams. Innerhalb von zwei Blocks gibt es acht Coffeeshops, drei Puffs und einige Pfandleiher, vor denen die Leute Schlange stehen. Hier finden wir alles was wir brauchen. Ich fühle mich total sicher und bereue, dass ich meine Töchter nicht mitgenommen hab. Der Verkäufer in der Bäckerei, in der es Space-Brownies im Sonderangebot gibt, erzählt mir, dass es nur noch wenige Pädophile in der Gegend gibt, die Mörder haben die meisten davon umgebracht.

Gleich neben unserem Hotel gibt es eine „Tandartspraktijk“, hier kommen die Leute aber nur ungern hin. Viel lieber radelt der Holländer auf seinem „fiets“ die Radwege entlang. Logisch, immerhin ist die Landschaft hier so platt wie ein Pannekoeken. Die größte natürliche Erhebung rund um Amsterdam ist ungefähr so hoch wie drei Wasserpfeifen übereinander gestapelt. Das ist angenehm für den Radler und wirkt sich auch auf den Laufsport aus. So sind die Bergläufe alle eher kurz, der Marathon dafür umso beliebter.

In der Nachbarschaft

Ohne einer anständigen Kräutermischung in der Birne liegen hier im Fahrradverkehr schnell die Nerven blank

Die spinnen, die Holländer!

Noch beliebter als der Marathon sind natürlich Räder. Das fängt schon bei den Jugendlichen an, die sind richtige Bike-Freaks. Nächtens treffen sie sich vor den Coffeeshops und bestaunen gegenseitig ihre Vehikel. In ihrer Freizeit blasen sie am Radwegrand von Touris plattgefahrene Reifen mit dem Mund auf und verdienen sich so ein paar Euros dazu, die sie sofort in Fahrradklingeln, fancy Tom-Turbo-Sticker, Panini-Fußballpickerl und Marihuana investieren. Verständlich, weil ohne einer anständigen Kräutermischung in der Birne, liegen hier im Fahrradverkehr schnell die Nerven blank. Überholt wird prinzipiell nur mit Millimeterabstand und in einem Affentempo. Helme gibt es keine, auch nicht für Kinder. Nicht einmal die Bromfiets-Fahrer haben welche, bürsten mit ihren Mopeds auf den Radwegen aber alles nieder.

Vielleicht haben die hier auch alle einen an der Waffel, weil sie zu oft wo reingedonnert sind. Genau das ist nämlich auch mir bei der ersten Ausfahrt passiert. Als ich vor einer roten Ampel stehen bleibe, kracht mir mit voller Wucht ein Eingeborener in die Speichen. Leider kann ich die Worte, die er mir daraufhin ins Gesicht brüllt nicht verstehen, bin mir aber sicher, dass es eine freundliche Entschuldigung war.

Die Franzosen halten Schilder in die Luft, auf denen steht: Pain means only bread in french

Abseits der Hektik auf den Radwegen ist die Atmosphäre aber ausgelassen und multikulti. Rund um den Marathon treiben sich neben den Holländern auch viele Briten, Belgier und Franzosen herum. Die Holländer rufen: „LEKKER CLEMENS, LEUK!“. Die Franzosen halten Schilder in die Luft, auf denen steht: „PAIN MEANS ONLY BREAD IN FRENCH“. Alle restlichen Ausländer hocken mit Wasserpfeifen und Joints am Wegesrand, feiern lautstark und pusten Marihuanaschwaden auf die Strecke. Als ich meinem Bruder schließlich 42 km lang ins Gnack gebrüllt hab, ist meine Stimme ganz heißer. Wir trinken, wie besprochen, noch ein Bier und reiben uns dann die Waden mit Heilkräutern ein, um unsere Schmerzen zu lindern.

Die letzten Kilometer
Offizieller Amsterdam Marathon Aftermovie

Impressionen

Die Strecke auf Strava

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