Runter kommt man immer. Auch in den Grand Canyon. Ein Trip mit Whiskey, Revolver, Bibel, dem Tiroler Onkel und unseren Frauen in den Höllenschlund.
Der Grand Canyon hat Reize, die immerhin 6 Millionen Besucher jedes Jahr anziehen. Die meisten davon werden mit Bussen herangekarrt, schlendern dann zum Rande des Abgrunds, machen „Aaaah“ und „Ooooh“ und fahren weiter nach Las Vegas, L.A oder zum nächsten MacDonalds. Wir finden das langweilig, kommen aus Österreich, stehen also auf Abgründe und wollen da runter, dorthin wo der Colorado River seine Schleifen zieht und wo, laut Nationalparkbehörde, die Todeszone liegt.
Teuflischer Bright Angel Trail
Der Trail, der hinunter führt, ist 16 Kilometer lang und fällt über 1500 Höhenmeter ab Richtung Hölle. Hölle, weil im Juli steigt das Thermometer hier unten oft auf über 120 Grad Fahrenheit. Das ist so heiß, dass sich manche Wanderer den Frühstücksspeck schon morgens auf den herumliegenden Felsen dunkelbraun brutzeln. „Bright Angel Trail“ heißt der Weg und vielleicht trägt er diesen Namen, weil die Engel allerhand zu Tun bekommen. Jedes Jahr geben hier 12 bis 15 Leute den Löffel ab. Die meisten davon verdursten oder kollabieren wegen Wassermangel.
Damit die Nationalparkranger nicht permanent leichtsinnige Wanderer retten oder vertrocknete Leichen aus dem Canyon karren müssen, braucht man für die Wanderung eine Genehmigung. Diese Genehmigungen, die sogenannten Backcountry Permits, sind nur äußerst begrenzt verfügbar. Wir haben sie deshalb bereits Monate vorher beantragt und müssen sie nur noch im Ranger-Büro abholen. Um beim Ranger einen guten Eindruck zu machen und nicht leichtsinnig zu wirken, haben der Tiroler Onkel und ich uns seit Wochen buschige Cowboy-Schnauzbärte wachsen lassen.
Esel haben Vorrang
Als wir das Büro des Rangers betreten und mit Kussmund unsere Oberlippenbehaarung präsentieren, kippt dieser gerade ein Glas Milch. Auf seinem Namensschild steht Frank und statt einem Schnauzer trägt er einen Backenbart wie Kaiser Franz. Sein Cowboyhut sieht teuer aus, ist wahrscheinlich aus totem Biber oder irgendeiner anderen Tierleiche gefertigt. Die Theke, hinter der er steht, reicht ihm bis zur Brust. Als wir erzählen, dass wir runter in den
Canyon und nur schnell unsere Permit abholen möchten, kommt Leben in den kleinen Cowboy. „You wanna die today?“, – ob wir heute sterben wollen, fragt er, ignoriert unsere irritierten Blicke und setzt zum Vortrag an: „No, you don`t wanna die today, so now listen carefully!“ – nein, wollt ihr natürlich nicht, also sperrt mal die Lauscher auf! „Man muss die Todeszone, den untersten Kessel, vor 6 Uhr früh verlassen haben, ansonsten wird es so heiß, dass man quasi bei lebendigen Leibe verbrennt“, erzählt er und führt uns in ein paar grundlegende Überlebensregeln ein. Es macht ihm Spaß, uns Angst zu machen. Wie ein Mantra wiederholt er immer wieder, dass wir unbedingt „genug Wasser mitnehmen und langsam gehen sollen“. Und weil Amis faul sind und sich in großen Gruppen von Eseln hinunter schleppen lassen, gibt er uns als letzte Regel folgendes mit auf den Weg: „Y’know guys, always remember, mules have the right of way“. Esel haben immer Vorrang! „Trifft sich gut“, sagt der Onkel, schnappt sich die Permit und sucht das Weite.
Das Weite liegt in diesem Fall 50 Meter nebenan und trägt den Namen „General Store“. Hier rüsten wir uns für den Trip in den Höllenschlund, wollen auch so einen schönen Cowboyhut aus Biberfell, wie der Ranger ihn hat. Doch das Biberfell-Hutregal ist gähnend leer. Also nehmen wir für eine Handvoll Dollar Cowboyhüte aus Stroh, das wie Plastik riecht. Dazu noch Grundausstattung: Gaskocher, Proviant, ein bisschen Wasser, eine Bibel, Messer, Revolver, Zelt, Schlafsack und das wichtigste: eine Flasche Jack Daniels. Als Wegzehrung, für Wunddesinfektion und als Schmerzmittel. Die einzige Flaschengröße, die es im Store gibt, hat Cowboygröße. 1,75 Liter, abgefüllt in massivem Glas und ungefähr so schwer wie ein adipöses Kleinkind. Ihr Inhalt reicht dafür aber für einen Ritt durch die Prärie. Oder eben für eine Wanderung in den Canyon. Das wissen die Manager im General Store und führen kleinere Flaschen erst gar nicht im Sortiment.
Vegetation und Temperatur ändern sich mit der Tiefe
Schließlich sind wir startbereit. Jeder von uns trägt einen großen Rucksack auf den Schultern. Den Whiskey packe ich ein. Nach den ersten Meilen ändert sich die Vegetation und die Temperatur steigt an. Standen oben noch Bäume herum, sind es jetzt Kakteen. Vorhin waren es ca. 30 Grad, hier, ein paar Höhenmeter tiefer, sind es deutlich über 40. Die Luft ist so trocken, dass der Schweiß auf unserer Haut binnen Sekunden verdunstet. Angeblich soll es hier ein paar Wasserstellen geben, aber alles was wir finden sind Staub und Bibergerippe. Das Gewicht des Whiskeys gräbt sich in meine Schultern, der Rücken schmerzt. Während der Pfad, staubig, rot und stetig tiefer in die Schlucht führt, eröffnen sich immer wieder neue Blickwinkel auf beeindruckende Felswände oder über schwindelerregende Abgründe. Es ist wie in einem Ennio-Morricone-Streifen, wir fühlen uns wie echte Cowboys.
Im Höllenschlund angelangt
Nach 6 Stunden Wanderung erreichen wir erschöpft den Colorado River. Wir sind überhitzt, der Schädel vom Onkel sieht aus wie frisch aus dem Kelomat. Die Frau will ins Wasser springen, kommt aber nur bis zu den Knöcheln bevor sie schreiend wieder kehrtmacht. Das Wasser ist frostig wie ein Bergquell im Winter. Und wirklich, wie uns Google sagt, steigt die Temperatur des Colorado Rivers trotz der Affenhitze kaum jemals über 12 Grad.
Das ist uns zu kalt, also marschieren wir weiter. Etwas flussaufwärts liegt die Phantom Ranch, eine Ansammlung von mehreren Hütten mit klimatisierten Zimmern, weichen Betten und Eiswürfelmaschinen. Knapp 120 Grad Fahrenheit zeigt das Thermometer an, das an einer der steinernen Hütten angebracht ist. Das entspricht knappen 50 in Celsius. Es ist hier unten auch viel feuchter als im oberen Bereich der Schlucht. Hat die Trockenheit weiter oben unsere Körper wie Pflaumen ausgedörrt, klebt die Luft hier wie ein heißes, nasses Badetuch am Leib.
Heiße Nächte
Die Hütten der Ranch sind voll, wir sind nicht willkommen. Die letzten Plätze für diese Nacht wurden vor vier Monaten per Lotterie ausgelost, erzählt der Hüttenchef. Wir schlagen also unsere Zelte neben einem kleinen Bach auf und füllen unsere ausgetrockneten Körper mit Jack Daniels. Nach zwei, drei großen Schlucken sind die Rückenschmerzen wie weggeblasen.
Da ich mir das Gewicht der Flasche auf dem Rückweg ersparen will, trinke ich sie gemeinsam mit dem Onkel vor dem Schlafengehen aus. In der Nacht kriegen wir kaum ein Auge zu. Es ist zu heiß. Zum Glück gibt es in den USA überall Eiswürfel. Das ist den Amerikanern wichtig. Wir schnappen uns ein paar leere Plastikflaschen und füllen sie bei der Ranch bis obenhin mit den gefrorenen Wasserwürfeln. Im Zelt packen wir uns die eisigen Flaschen unter den Kopf. Und um wenigstens ein kleines Lüftchen ins stickige Zelt zu bekommen, halten wir die Türen weit offen. Kurz danach gleiten der Onkel und ich, vom Whiskey benebelt, in einen halbwachen Trancezustand.
Den Frauen hingegen hat der Whiskey nicht geschmeckt, die Trance ist ihnen nicht vergönnt und auch Schlaf finden sie keinen, die Geräusche der Schlangen und anderen Tiere, die ums Zelt kreuchen und fleuchen halten sie munter.
Raus aus der Todeszone
Am nächsten Tag müssen wir früh aus den Federn, mit der Todeszone ist nicht zu spaßen. Auch das Personal in der Phantom Ranch hat uns nochmal ermahnt, möglichst vor 6 Uhr aufzubrechen, ansonsten droht Kollaps. Es ist noch dunkel als wir mit unseren gepackten Rucksäcken losmarschieren. Die Morgentemperatur liegt um 30 Grad, was sich nach der letzten Nacht herrlich kühl anfühlt. Mit dem Whiskey-Kater im Gepäck schlurfen wir still den staubigen Weg nach oben. Die leere Whiskeyflasche trägt die Frau vom Onkel zurück, wir Männer sind zu müde, wollen uns überflüssiges Gewicht ersparen, schließlich haben wir in nächtlicher Schwerstarbeit gemeinsam die Flasche geleert.
Am späten Nachmittag haben wir es geschafft, sind zurück am Rim, dem Rand der Schlucht. Dort entlang fährt ein Bus, der uns aufnimmt. Der Bus ist klimatisiert. Zu kühl für die überhitzten Muskeln der Frau. Als wir aussteigen müssen, kommt sie nicht hoch, kann die Beine nicht mehr abbiegen. Ich helfe ihr auf und schleppe sie aus dem Bus Richtung Hotel. Dort humpelt sie wie ein altes Weibchen die Stufen zu unserem Zimmer hinauf, fällt ins Bett und ist in der nächsten Sekunde eingeschlafen.